Eines langen Tages Reise in die Nacht – Ein literarischer Tritt in die Weichteile

Gunzenhausen – Amerikanische Literaten wühlen gerne in den Abgründen des Lebens. Ohne Rücksicht auf Gefühle von Leserinnen und Lesern arbeiten sie sich wie diabolische Beobachter an menschlichen Schicksalen ab, sezieren das vielschichtige Dasein auf Erden bis zur nackten Empfindung. Übrig bleibt ein unangenehmes, kaum zu beschreibendes Gefühl, das sich bei der Leserschaft als physisch manifestierter „Kloß im Hals“ zeigt. Häufig können wir die Geschichten nur in Etappen lesen, mit Ehrfurcht und manchmal auch Angst sehnen wir das Ende der mit Schmerz und Tränen geschriebenen herausgerissenen Stücke der menschlichen Existenz herbei. Daneben sind wir aber auch glücklich, ob der Schönheit der Worte und sprachlichen Bilder. John Steinbeck, Wiliam Faulkner, Charles Bukowski, Paul Auster – Meister ihres Fachs und gleichzeitig literarische Totengräber. Zu denen gehört definitiv auch der 1953 verstorbene Eugene O´Neill, hochbegabter Dramatiker, unangepasst, alkoholkrank und dem Leben selten zugehörig gefühlt. Vergangenen Samstag wurde auf der Stadthallenbühne in Gunzenhausen sein Werk „Eines langen Tages Reise in die Nacht“ aufgeführt. Ein Jahrhundertstück, grandios gespielt und ein literarischer Tritt in die Weichteile.

Zwischen Freund- und Feindschaft liegt manchmal nur ein kurzer Moment – Eugene O´Neill erzählt in seinem Stück „Eines langen Tages Reise in die Nacht“ von der amerikanischen Familie Tyrone. Von außen betrachtet eine Bilderbuchfamilie, wohlhabend, erfolgreich und beneidenswert. Die Innenperspektive zeigt tiefe Zerrissenheit und Verfall. Vater, Mutter, Sohn und Sohn kämpfen gegeneinander und klammern sich an eine längst verlorene Vergangenheit. Im Angesicht des Todes, Sohn Edmund ist tuberkulosekrank, brechen die Emotionen heraus und die Abhängigkeit voneinander wird zur Vor-Hölle. Obwohl sie Versöhnung herbeisehnen, endet jede Zusammenkunft in gegenseitiger Verletzung, psychisch und physisch. Nur die gedankliche Flucht zurück, gepaart mit der Dauer-Betäubung durch exzessiven Drogenmissbrauch scheint – zumindest für kurze Momente – Erlösung zu bringen.

Judith Rosmair, Peter Kremer, Igor Karbus und Fabian Stromberger spielen den Plot nicht nur, sie leben ihn. Kompromisslos und radikal gezeichnet wechseln Stimmungen im Sekundentakt. Jede Szene wird zum kleinen Kunstwerk, intensiv geht es zu und spielwütig. Gerade Judith Rosmair wird zum personifizierten Krankheitsbild der Dissoziation. Nach und nach zerfällt die Psyche ihrer Figur, am Ende schwebt sie im Morphium-Delirium als buchstäbliches Gespenst über die Bühne. Sie ist körperlich gezeichnet, ihre Haare werden immer wilder und spiegeln ihren Geisteszustand. An Mutter Mary zeigt sich der Zustand der Familie. Am Ende liegen alle am Boden, zerstört und enttäuscht, vier Personen, die zwar das Gute wollen, aber stets das Böse produzieren. Dieses intensive Spiel steckt an, im faszinierten Publikum war es zeitweise totenstill. Wäre in diesen Momenten eine Stecknadel gefallen, sie hätte Lärm gemacht.

„Eines langen Tages Reise in die Nacht“ ist so schwer verdaulich wie das fränkische Schäuferle kurz vor Schlafenszeit. Das Schlimme ist, dass wir als Leser oder Zuschauer mit keiner der Figuren sympathisieren können. Wir wollen eine Beziehung eingehen, mitfiebern und den Prota- oder Antagonisten Gutes oder Schlechtes wünschen. Eugene O´Neill gewährt uns das nicht und macht uns damit zu (Mit)-Leidenden. Wir schlittern wehrlos in die Katastrophe. Eine Auflösung oder Eruption gibt es nicht, an den gegenseitigen Anschuldigungen und Verletzungen der Familienbande hat das Publikum (auch nachdem das Licht angegangen ist) zu knabbern. Dieses Drama ist traurig und macht traurig. Als Außenstehender möchte man beistehen und gute Ratschläge geben. Insgeheim wissen wir aber um unsere Hilflosigkeit. Oder wie es Eugene O´Neill sagen würde: „Das Leben ist nicht so einfach.“

Weiter geht´s mit der Gunzenhäuser Theaterreihe in der Stadthalle am 22. März 2025. Dann wird der Antikriegsklassiker „Im Westen nichts Neues“ gezeigt. Tickets gibt es über die Tourist Information (09831/508 300), online unter www.reservix.de oder an der Abendkasse.

Quelle und Bilder: Stadt Gunzenhausen – Manuel Grosser

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