Gunzenhäuser Theaterspielzeit 2024/2025 – Wo steckt der weiße Wal?

Gunzenhausen – Manchmal braucht es den Tod, um Leben zu entfachen. Es ist kaum vorstellbar, doch Herman Melvilles 1851 erschienenes Werk „Moby-Dick“ war anfangs ein richtiger Flop. Der heutige Nationalautor der Vereinigten Staaten musste erst sterben, damit die literarische Schönheit seiner packenden Geschichte die Welt erobern konnte. Wie sich das ungleiche Duell zwischen dem rachsüchtigen Misanthropen Schiffskapitän Ahab und dessen naturgewaltigen Erzfeind Walfisch Moby-Dick auf der Theaterbühne schlägt – Gunzenhäuser Theaterbesucher konnten es vergangenen Sonntag live auf der Stadthallenbühne erleben. Dort tauchte das gewohnt-experimentierfreudige Münchner ensemble persona tief in das lebensverneinende System der Walfischjagd ein.

Regisseur Tobias Maehler ist ein Perfektionist mit Hang zum Außergewöhnlichen. Wenn er sich eine Geschichte vornimmt, dann dringt er zur Essenz eines Plots vor. Er wählt sich zwei bis drei Schwerpunkte aus und diese stehen dann im Zentrum der Aufführung. Der Restinhalt wird zum Füllmaterial oder Fragment. Seine Moby-Dick-Story konzentriert sich auf das Rachemotiv, auf das Walfanggeschäft und auf die lange Zeit auf See.

Kapitän Ahab erhebt er zur unheimlichen Präsenz, welche die ersten 30 Minuten nur als Schreckgespenst in den Köpfen der Matrosen existiert. Allein das dumpfe Klopfen seines Holzbeins zeugt von seiner Anwesenheit an Bord der Pequod. Er und Moby-Dick, sie sind eins, eine Entität, die der Besatzung körperliche und seelische Schmerzen zufügt. Metaphorisch-tonal symbolisiert durch den traurigen Gesang eines Wales legt er einen Mantel des Schreckens diabolisch über die Männer und Frauen. Seine Crew hat er Marionetten gleich in seiner Gewalt. In einer beeindruckenden Szene schließen Kapitän und Besatzung einen Pakt. Die Matrosen versprechen Ahab ihre Seelen.

Unter dem jähzornigen Kapitän zu dienen, es ist Arbeit bis zur Selbstaufgabe, es kostet Schweiß und Speichel, am Ende für die Meisten gar das Leben. Die Schauspieler Nick-Robin Dietrich (Ismael), Luca Rouven Schmitz (Queequeg), Anna März (Starbuck) und Sophia Lahme (Stubb) sind ständig in Bewegung, sie rennen, schreien und schleppen schwere Fässer – das raue Leben auf See, konzentriert auf der Theaterbühne.

In der literarischen Vorlage heißt es, dass Walfänger „so nah wie möglich an das Wasser heran“ müssen. Das Ensemble kehrte diese Aussage um und ging mit dem Publikum punktuell auf Tuchfühlung. Der Raum zwischen den Stuhlreihen wurde kurzerhand zur erweiterten Theaterbühne. Apropos Bühne: Das von einigen Besuchern vorher als Kindergartenklettergerüst verspottete Bühnenbild entpuppte sich in seiner konstruktiv-kreativen Einfachheit als der große Wurf. Die zwei in tiefem rot gehaltenen Elemente waren Hafen, Schiff und Aufenthaltsraum zugleich.

Amüsant und stimmig war eine Traumsequenz, die exemplarisch für den Mut des ensemble persona genannt werden soll: Im Delirium erlebt der von großem Fieber geplagte Queequeg einen Albtraum der Marke „Frutti di Mare“. Er selbst verwandelt sich in einen glitzernden Tintenfisch, der ein Seepferd jagt und mit Quallen um die Wette schwimmt. Das Bühnenbild ist dazu in Meeresblau getaucht. Eine großartige und auflockernde Idee.

Im Vergleich zur Vorlage bleibt Kapitän Ahab (Peter Kempkes) ein wenig blass. Außerdem hat das einem perfiden Perpetuum mobile gleichende Hasskonstrukt mit den Bestandteilen Crew, Kapitän und Wal seine Schwächen. Tyrann und Untergebene bedingen sich in wechselseitiger Abhängigkeit, der Wal jedoch müsste allerdings außerhalb rationaler Überlegungen stehen. Im Stück wird dem Tier ebenfalls Rachsucht unterstellt, dabei ist es der sich über andere Menschen erhebende Ahab, der töten will. Moby-Dick hatte ihm das Bein abgetrennt und ihn gezeichnet. Mit dem Sieg über die Natur würde Ahab für Ausgleich sorgen und die aus Kapitänssicht natürliche Ordnung wiederherstellen.

Und wo steckte eigentlich der weiße Wal? Dieser trat nur im fantastischen Finale in Szene, als Scherenschnittelement im Rahmen eines Schattentheaters. Der Dreimaster wurde versenkt und mit ihm der Kapitän und die meisten Crewmitglieder. Ahab wird für sein sündhaftes Verhalten bestraft. Zuerst verfällt er dem Wahnsinn, später ereilt ihn neben dem psychischen auch der physische Tod. Rache ist destruktiv und vom biblischen Prinzip „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ bleibt nichts übrig. Wie selbstverständlich lässt Moby-Dick einen Zeugen (Ismael) am Leben. Dieser kann nun vom ewigen Kampf und der Vendetta berichten. Der Reinigungsprozess ist vollendet, der sündige Ahab ist tot. Im Zusammenhang mit der antiken Tragödie hätten wir an dieser Stelle wohl vom Katharsiseffekt geschrieben. So bleibt ein: „Wer nicht hören will, der muss fühlen!“

Die Gunzenhäuser Theaterspielzeit findet am Samstag, den 7. Dezember 2024, mit der Bestselleradaption „Achtsam morden“ eine Fortsetzung. Nähere Informationen und Karten gibt es über die städtische Tourist Information und das Kulturbüro (Tel.: 09831/508 109; E-Mail: kulturamt@gunzenhausen.de).

Quelle und Bilder: Stadt Gunzenhausen – Manuel Grosser

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