Lebenszeichen und Propaganda – Postkarten aus dem Ersten Weltkrieg

Gunzenhausen – Die von Dr. Daniel Schönwald zusammengestellte und kommentierte Postkartenschau zeigt mehr als 400 Postkarten aus Kalbensteinberg – Ausstellung in der Stadt- und Schulbücherei

von links: Historiker Dr. Daniel Schönwald mit Stadtarchivar Werner Mühlhäußer (Bild ©Stadt Gunzenhausen)

Die Postkarte und der Feldpostbrief waren während des Ersten Weltkriegs die Kommunikationsmedien Nummer eins. So wurden von 1914 bis 1918 über 29 Milliarden Postsendungen verschickt. Die Post aus der Garnison und später von der vordersten Frontlinie, aber auch aus dem Lazarett oder aus dem Kriegsgefangenenlager war für die Angehörigen oft das einzige Lebenszeichen. Doch mit der Postkarte kamen nicht nur liebe Grüße, sondern die Bildseite wurde auch oft zu Propagandazwecken genutzt und zeigt patriotische Bekenntnisse oder Durchhalteparolen zum Ende des Krieges hin.

Der Historiker Dr. Daniel Schönwald ist im Kalbensteinberger Pfarramt auf eine umfangreiche Postkartensammlung aus dem Ersten Weltkrieg gestoßen, die er durch Karten von den Familien Wiesinger und Schönwald ergänzte. Auf Anregung von Stadtarchivar Werner Mühlhäußer entstand eine Dokumentation, die thematisch von der Musterung der Soldaten über den Kriegsdienst bis hin zu Abbildungen von Schlachten, Lazaretten und Kriegsgräbern reicht. Insbesondere die Funktion der Postkarte als Propagandamedium in religiös-nationaler

Verbrämung kommt deutlich zum Ausdruck. Zu sehen ist die Ausstellung mit 33 Bildtafeln und mehr als 460 Einzelmotiven noch bis zum 1. Juni in den Räumen der Stadt- und Schulbücherei.

Zur Ausstellungseröffnung dankte Erster Bürgermeister Karl-Heinz Fitz Dr. Daniel Schönwald für dessen Initiative, hob aber auch die Leistung des Gunzenhäuser Stadtarchivars Werner Mühlhäußer hervor, der maßgeblich am Konzept der Ausstellung beteiligt war. Zu würdigen wusste das Stadtoberhaupt auch die Leistung des damaligen Kalbensteinberger Pfarrers Gottfried Putz, der vor 100 Jahren allen Kalbensteinberger und Fünfbronner Weltkriegssoldaten regelmäßig Botschaften aus der Heimat zukommen ließ und deren Antworten treulich verwahrt hatte.

Die Stadt- und Schulbücherei sei der geeignete Rahmen für eine solche Ausstellung, sagte der Bürgermeister. Hier könne man die mit knappen Texten versehenen Exponate einer breiten Öffentlichkeit präsentieren.

Alle zwei Monate gibt es in der Stadt- und Schulbücherei eine neue Ausstellung zu sehen, erläuterte Büchereileiterin Carolin Bayer. Neben Ausstellungen zu historischen Themen, die oft in Zusammenarbeit mit Stadtarchivar Werner Mühlhäußer entstehen, gebe es auch für lokale und regionale Künstler und Fotografen eine Plattform. Ausstellungen mit Bilderbuchkunst sowie aus der Arbeit des Büchereiteams resultierende Ausstellungen ergänzten das Programm, so Carolin Bayer. Auch Dr. Daniel Schönwald sei bereits mit einer Dokumentation von Auswandererschicksalen 2013 in der Bücherei präsent gewesen.

Stadtarchivar Werner Mühlhäußer berichtete zur Eröffnung von dem enormen Enthusiasmus, mit dem auch die Menschen aus Gunzenhausen und Umgebung den Beginn des ersten Weltkriegs gefeiert hatten. „Für Kaiser und Vaterland“ zogen die jungen Männer mit Begeisterung ins Feld und – so ein Beispiel aus den Archiven der Stadt – allein aus dem örtlichen Turnerbund Jahn meldeten sich 13 Freiwillige. Die am Bahnhof Gunzenhausen durchfahrenden Züge, die die Soldaten aus den Ausbildungsgarnisonen zu den Kriegsschauplätzen brachten, wurden von der Bevölkerung mit Hochrufen begleitet, so der Stadtarchivar. Er leitetet auch zu einem der Anfang des 20. Jahrhunderts populären Marschlieder über, das die Musikerfamilie Pfahler interpretierte: „Bis zum letzten Tropfen Blut“

heißt es in dem patriotischen Liedtext. Annemarie, Almut, Christian, Sebastian und Max Pfahler setzten aber solch patriotischen Liedern auch Stücke wie „Aus dem Tagebuch einer Fliege“ des ungarischen Komponisten Bela Bartok oder eine Komposition der Französin Lili Boulanger entgegen.

Die Hintergründe seiner Postkartenausstellung erläuterte der stellvertretende Leiter des landeskirchlichen Archivs der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern Dr. Daniel Schönwald. Er hatte auch jene Archivkiste mitgebracht, in der der Kalbensteinberger Ortsgeistliche Gottfried Putz 1914-1918 alle Korrespondenz mit den Weltkriegssoldaten alphabetisch geordnet und aufbewahrt hatte.

In seinem Vortrag „Die evangelisch-lutherische Kirche und der Erste Weltkrieg“ kam er immer wieder auf den 1876 in Weidenbach geborenen Ortsgeistlichen zu sprechen, der von 1910 bis 1925 in Kalbensteinberg seinen Wirkungsort gefunden hatte. Um die Soldaten in der Ferne kümmerte sich der geistliche ebenso wie um die Daheimgebliebenen, die Tag für Tag um das Leben ihrer Ehemänner oder Söhne bangten. Dabei verschwieg der Redner nicht, wie sehr sich der Pfarrer von der vaterländischen Siegesgewissheit anstecken ließ.

Während der gesamten Kriegszeit hatte der Pfarrer besonders viele Aufgaben zu erledigen. Dies reichte – so berichtete Daniel Schönwald – vom Vormittagsgottesdienst am Mobilmachungstag, über regelmäßige Kriegsbetstunden und Trauergottesdiensten für die Gefallenen bis zur Seelsorge für die Hinterbliebenen. Die Soldaten an der Front wurden vom Ortspfarrer mit Neuigkeiten aus der Heimat und frommen Wünschen versorgt. Jeder Soldat erhielt wöchentlich einen Predigtgruß, in dem auch die ein oder andere nationalistische Durchhalteparole zu lesen war. Jede Woche – so wusste Dr. Daniel Schönwald zu berichten – schickte Pfarrer Putz 40 bis 50 Feldpostbriefe ab. Karten und Briefe der Soldaten wurden zudem gewissenhaft beantwortet.

Die Kalbensteinberger Gemeindemitglieder zollten ihrem Geistlichen dafür großen Respekt, baten ihn zudem, bei so mancher Eingabe oder bei Nachforschungen nach Soldaten, von denen man schon lange nichts gehört hatte, behilflich zu sein.

Wie umfangreich die Betreuungsaufgaben des Pfarrers Putz waren, zeigte der Historiker Schönwald anhand einiger Zahlen: bei nur 541 Gemeindemitgliedern aus der Kalbensteinberger Heimat war die Quote von 87 eingezogenen Soldaten sehr hoch. Am Ende des Krieges zählte man in der Kirchengemeinde 24 Gefallene – zum Vergleich waren es in Gunzenhausen 138 Gefallene.

Die Evangelische Kirche in Bayern stand in Kaisertreue und religiös-nationaler Gesinnung dem damaligen Pfarrer Kalbensteinbergs übrigens sehr nahe. So erinnerte Dr. Daniel Schönwald auch an das Luther-Jubiläum des Jahres 1917, bei dem Luther als „Führer in Kampf und Not“ gefeiert wurde und sein Lied „Ein feste Burg ist unser Gott“ zur Durchhalteparole für die Soldaten umgedeutet wurde.

Die Ausstellung mit Weltkriegs-Postkarten „Lebenszeichen und Propaganda“ enthält Postkarten zur militärischen Ausbildung, zur Kriegspropaganda, zum Frontalltag, zu Orten an der West- und Ostfront und zur Zerstörung und Tod. Zu den Öffnungszeiten der Stadt- und Schulbücherei kann die Schau bis 1. Juni besucht werden.

Quelle: Babett Guthmann – Stadt- und Schulbücherei Gunzenhausen

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