Bücherfrühling diesmal mit ideenreichen Buchkritiken statt als gemütlicher Büchertalk

Gunzenhausen – Das Literaturcafé als gemütliche Runde mit Buchbesprechungen zu den Frühjahrs-Neuerscheinungen musste leider ausfallen, stattdessen gab es in der Stadt- und Schulbücherei Gunzenhausen eine Ausstellung mit Leseempfehlungen auf Plakaten. Hier kam nicht nur das Team der Stadt- und Schulbücherei zum Zug, sondern auch 11 wortgewandte und kritische Literaturfreundinnen und –freunde machten mit, formulierten kurze Rezensionen, zeichneten und fertigten Collagen. Empfohlen wurden insgesamt 17 Neuerscheinungen, hier eine Auswahl:

Literatur Café (Bild Stadt Gunzenhausen)

Ulrike Fischer empfiehlt das wohl wichtigste Jugendbuch des Bücherfrühlings: Kirsten Boie hat als Schauplatz ihrer Novelle „Dunkelnacht“ das bayrische Penzberg gewählt. Sie beschreibt zwei Bombennächte Ende April 1945. Am Ende des Buches, so formuliert es Ulrike Fischer, tröstet ein Satz den Leser: „Die Angst kann nicht alles, die Angst bleibt nicht immer der Sieger.“

Die Kati Naumann erzählt auch in ihrem neuen historischen Roman „Wo wir Kinder waren“ eine Geschichte aus dem Osten Deutschlands. Im Mittelpunkt steht die Fabrikantenfamilie Langbein, die in der Kaiserzeit die Herstellung von Puppen und Plüschtieren beginnt. Das Unternehmen floriert, aber dann muss die Familie Inflation und Kriege durchstehen, ist in der sowjetischen Besatzungszone und späteren DDR mit Repressalien ausgesetzt und muss schließlich mit der Verstaatlichung zurechtkommen. Gisela Szonn meint: „Ein sehr schönes und  gelungenes Porträt einer Familie, über die Herstellung von Spielzeug und über das schöne Städtchen Sonneberg.“

Ins ländliche Louisiana der 1950er und 1960er Jahre führt uns die US-Autorin Brit Bennett in „Die verschwindende Hälfte“. Zwillingsschwestern – unterschiedlicher wie sie nicht sein könnten, gehen getrennte Wege. doch es gibt das mehr als unwahrscheinliche Wiedersehen. Hartmut Röhl empfiehlt diesen brandaktuellen Roman über Alltagsrassismus in den USA, mit der eigenen Ethnie verknüpfte Traumata und die Last der Geschichte.

Für Kerstin Zels ist jeder Roman von T.C. Boyle ein Must-Read. Aktuell erschienen ist „Sprich mit mir“, die Geschichte des Schimpansen Sam, der umsorgt von Wissenschaftlern aufwächst und die Gebärdensprache erlernt. Was tun die Wissenschaftler mit ihrem Freund, wenn das Experiment abgeblasen wird? „Sprich mit mir“ wird aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt. Am interessantesten und berührendsten ist nach Ansicht unserer Testleserin die Stimme von Sam.

Neun „fabelhaft fabulöse Erzählungen, die einen in den Bann ziehen“, verfasst vom japanischen Autor Haruki Murakami, empfiehlt Zena Wiehn und fügt hinzu: „Man weitet den Horizont über die Wirklichkeit zum Möglichen“. „Erste Person Singular“ widmet sich den Rätseln um die Menschen, Dinge und Wesen, die uns prägen. Einen weiteren japanischen Autor hat Dagmar Bender mit „Der Klang der Wälder“ von Natsu Miyashita auf die Empfehlungsliste gesetzt:  „Ein ganz ruhiges, leises und poetisches Buch über Hinhören, Hinspüren und sehr viel Geduld.“  Auf die Suche nach dem perfekten Klang begibt sich der Klavierstimmer Tomura und entdeckt Parallelen zwischen der Musik und dem Blätterrauschen in den  Bergwäldern seiner Kindheit.

Monika Helfers Buch „Vati“ versteht Cornelia Röhl als eine Annährung der Tochter an einen „Fremden“. Die Testleserin hat zu „Vati“, dem Weltkriegsinvaliden, eine interessante Collage gestaltet. Eine brisante Thematik, ein eigenwilliger Ermittler, den man doch ins Herz schließt, raffinierte Wendungen der Handlung: Für Christine Höller hat der Berlin-Thriller „Der Solist“ von Jan Seghers alias Matthias Altenburg viele Qualitäten. Ein unbekannter Serienmörder will den Tod von Anis Amri (Attentat auf den Berliner Weihnachtsmarkt 2016) rächen. Der Druck auf die Sondereinheit und Ermittler Neuhaus wächst mit jedem weiteren Mord…

Eine unterhaltsame Geschichte über das Leben, über Reue und die Frage, was wäre wenn… ist Matt Haig mit „Die Mitternachtsbibliothek“ gelungen. Carolin Föttinger war begeistert von diesem literarischen Gedankenexperiment: Nora, 35 Jahre alt, erwacht nach einem Selbstmordversuch in einer Zwischenwelt, der Mitternachtsbibliothek. Hier stehen viele Bücher, jedes für einen möglichen Lebensweg, den sie dann doch nicht eingeschlagen hat.

Dieses Buch wird eindeutig unterschätzt, erläutert uns Melena Renner und spricht von Dolly Aldertons neuem Frauenroman „Gespenster“: „Was als klassischer Liebesroman mit vorhersehbarem Happy-End beginnt, entpuppt sich als vielschichtige und intelligente Auseinandersetzung mit der Rolle einer modernen, selbständigen Frau in ihren Dreißigern.“ Diese steht im Spannungsfeld zwischen Karriere, Kinderwunsch, Älterwerden und Krankheit der Eltern und dem Wunsch nach einer guten Beziehung und Freundschaft.

Dieser Mann wird hingegen von niemandem unterschätzt: Die Spiegel-Journalistin Anna Claus ist die Autorin von „Söder – Die andere Biografie“. Birgit Franz hat für uns probegelesen und kann sich für das kleine Buch begeistern: „Söders Handeln versteht man nach der Lektüre jedenfalls etwas besser“. Welche Attribute ihm die Biografie zuschreibt? Der Imperator, der Strippenzieher, der Ehrgeizige, der Medienprofi, der Klassenstreber, der Einzelgänger, jüngster Ministerpräsident Bayerns, der Inszenierer, der Festzeltredner, der Youtuber, der Hundefreund, der Empathielose, der Schadenfrohe, der Antialkoholiker, der Frühaufsteher….

Seine Erfahrungen als HNO-Arzt und Chirurg in einer großen Klinik-Maschinerie hat Rainer Jund in „Tage in Weiß“ aufgezeichnet. Der Mann ist immer noch Arzt in eigener Praxis und sicherlich kein schriftstellerisches Naturtalent. Auch nach dieser kritischen Einschätzung ist Babett Guthmann von Junds Erfahrungsbericht begeistert: „Ein ehrliches und empathisches Buch über  alles Menschliche im Klinikalltag. Aber bitte nicht vor einer bevorstehenden Operation lesen!“

Das Mysterium Jack the Ripper beschäftigt seit seiner Mordserie an fünf Frauen im Jahr 1888 die Welt. Noch immer ist nicht klar, welche Motive er für seine Taten hatte. Die britische Historikerin Hallie Rubenhold hat in „The Five“ eine weitere Frage gestellt: Wer waren seine Opfer? Sie präsentiert die Lebensläufe der Frauen und schnell wird klar: Das Stereotyp „Prostituierte“, mit dem die Opfer damals und heute belegt werden, trifft nicht zu. Nik Baumann verspricht: Die Leserinnen und Leser erfahren viel über das Leben von Frauen aus der Arbeiterklasse im viktorianischen London.

Quelle und Bild: Stadt Gunzenhausen – Manuel Grosser

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