Projekt „Ritzen und Schnippeln“ an der Stephanie-Mittelschule in Gunzenhausen

Gunzenhausen – „Ritzen und Schnippeln“ – selbst verletzende Verhaltensweisen, die im Jugendalter immer mehr zunehmen. Die Jungen und Mädchen der achten Jahrgangsstufe an der Stephani-Mittelschule Gunzenhausen setzten sich deshalb in einem Projekt mit den Themen auseinander. Stephanie Göggerle, Leiterin der Eltern- und Jugendberatung, und Jugendsozialarbeiter Thomas Pfaffinger führten dies in Form von Unterrichtseinheiten durch. Ziel war es, mit den Schülern zu den problematischen Verhaltensweisen ins Gespräch zu kommen, Vorurteile abzubauen und gemeinsam positive Umgangs- sowie Reaktionsmöglichkeiten zu finden.

Foto: Diakonisches Werk – Thomas Pfaffinger

„Der Einstieg in das selbst verletzende Verhalten beginnt meistens mit der Pubertät“, macht Psychologin Stephanie Göggerle deutlich. Auf Nachfrage wissen die Achtklässler schnell, woran das liegen könnte: Der erste Liebeskummer, Schwierigkeiten mit den Eltern und Probleme in der Schule. „Alle Gefühle werden in dieser Entwicklungsphase viel stärker erlebt, sowohl positive wie auch negative.“

Im Büro von Sozialpädagogen Thomas Pfaffinger sitzen immer wieder verzweifelte Jugendliche, die sich selbst verletzt haben: „Die Mädchen und auch Jungen wissen häufig nicht, wohin mit ihren Gefühlen und Problemen. Für sie ist das Ritzen dann oft der einzige Weg, um den Leidensdruck abzubauen.“ Zudem suchen immer wieder Heranwachsende das Gespräch mit dem an der Schule tätigen Jugendsozialarbeiter, um ihm von Freunden zu erzählen und Fotos zu zeigen, die sie geschickt bekommen haben. Darauf sind Wunden an Unterarmen oder Oberschenkeln zu sehen, die sich die Teenager selbst zugefügt haben.

Die Mitschüler stehen dann vor einem Gewissenskonflikt: Schweigen und damit das Vertrauen aufrechterhalten oder Erwachsene einweihen und dadurch das Vertrauen zum Freund bzw. zur Freundin zu brechen. Keine einfache Situation für die jungen Menschen. Dies ist ein Grund, weshalb die beiden Mitarbeiter der Diakonie Weißenburg-Gunzenhausen jährlich das Projekt an der Stephani-Mittelschule durchführen, schließlich ist Ritzen ein Phänomen, das nach Einschätzung der Fachkräfte am Zunehmen ist. Ungefähr jeder vierte Schüler einer Klasse verletzt sich selbst oder hat dies zumindest schon einmal ausprobiert. Andere Betroffene versuchen, ihre Narben und Verletzungen vor anderen zu verstecken. Ihnen ist es wichtig, dass niemand etwas mitbekommt – was letztlich wiederum den Druck, damit klar zukommen, enorm verstärken kann. Schnell geraten die jungen Menschen in einen Teufelskreis, aus dem sie häufig nur noch mit therapeutischer Hilfe herauskommen.

Im Projekt „Ritzen & Schnippeln“ erhalten die Schüler eben jene Informationen, um das Thema selbst einschätzen zu lernen. Schließlich werden sie in Kleingruppen eingeteilt. Sie beschäftigen sich hier mit der Fallgeschichte von Alex, einem Jugendlichen in ihrem Alter, der mit Herausforderungen zu kämpfen hat, vor denen sie selbst täglich stehen. Dabei geht es darum, dass die Teenager versuchen sollen, sich in den Jungen hineinzuversetzen: Welche Gedanken gehen ihm durch den Kopf? Was führt letztlich dazu, dass sich Alex selbst verletzt?

In einem weiteren Schritt werden mögliche Reaktionen von Freunden und Eltern gesammelt. Schließlich bewerten die Schüler diese noch: Was ist hilfreich für Alex in seiner jetzigen Situation und bringt für ihn Entlastung? Welche Reaktionen machen Alex das Leben eher schwerer?

Die Schüler sind sich schnell einig, dass Vorwürfe und Vorhaltungen nicht wirklich weiterhelfen. Zuhören, für einander da sein, sich ablenken – das sind mögliche positive Reaktionen. Und wenn all dies nichts mehr hilft, ist es umso wichtiger, sich Erwachsenen anzuvertrauen. „Geheimhaltung ist keine Lösung“, fasst eine Schülerin zusammen. Die Eltern- und Jugendberatung, die Termine in Weißenburg wie Gunzenhausen vergibt, bietet mögliche Hilfestellungen an, damit klar zukommen und Auswege aus der belastenden Situation zu finden. Die Berater schauen sich gemeinsam die individuelle Situation des Jugendlichen an, suchen mit ihm nach Lösungen für die Probleme und zeigen Alternativen zu den selbst verletzenden Verhaltensweisen auf.

Abschließend erhalten die Achtklässler noch die Aufgabe, einem ihrer Mitschüler einen positiven Satz zu überreichen: „Ich freue mich, wenn ich Dich am Morgen in der Schule sehe“ oder „Auf Dich ist immer Verlass und deshalb mag ich Dich so gern.“ Dabei wird schnell deutlich, wie schwer es doch ist, sich mal etwas Gutes zu sagen. „Mit Komplimenten sollte man aber nicht sparen“, heben Stephanie Göggerle und Thomas Pfaffinger hervor. „Wertschätzende Worte sind eine gute Möglichkeit, sich gegenseitig aufzubauen und ein gutes Selbstbewusstsein ist der beste Schutz gegen Selbstzweifel.“

Quelle und Bild: Diakonisches Werk Weißenburg-Gunzenhausen – Jugendsozialarbeit an Schulen – Thomas Pfaffinger

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