Die zweite Meile von Christa Milke

Der Schlitten schleift durch den knöcheltiefen Schnee. Ein weißes Schaffell auf seinem Sitz bringt ihm romantisches Flair und lässt ihn kuschelig empfinden. Er fährt, wie er gezogen wird. Das kleine Tannenwäldchen links, liegt weihnachtlich in seinem Schneemantel. Die spärlichen Sonnenstrahlen lassen den Schnee himmlisch glitzern. Plötzlich bleibt der gleitende Schlitten in der halben Schneespur stecken.

Eine frauliche Gestalt, bestückt mit einem Rucksack auf dem Rücken, plumpst auf den Schlittensitz. Daneben hüpft die ganze Zeit schon ein Fünfjähriger der unentwegt kleine Schneebälle formt, um diese in die Luft zu zwirbeln. Plötzlich steht er vor der Person. „Was heißt zweite Meile?“ „Wie kommst du darauf?“

„Eine Frau sprach auf der Straße mit einem Mann, da hörte ich die Worte zweite Meile und noch von einem Spiegel. Wenn Personen eine zweite Meile aufzeigen, das ist ihr Persönlichkeitsspiegel.“ „hm“ „Ja solche Worte hörte ich. Zweite Meile“ „hm….“

Der Rucksack rutscht vom Rücken der Größeren. Flink mit seinen Händen zog das fragende Bürschlein ihn noch gar auf das Schaffell. Er überlegt sich’s anders und schleppt ihn vor die Sitzende und öffnet sogleich den Rucksack. Eine gütige Stimme dringt an sein waches Ohr. „Was du eben tatst, das ist eine zweite Meile!“ „Warum?“ Die wohltuende Hand streichelt über das Jungenköpfchen. „ Eine zweite Meile heißt, etwas mehr zu tun, als das was Notwendig war, oder das Doppelte.“

Den Tee, die Plätzchen nimmt sie aus dem Rucksack. Aus der Thermoskanne fließt die heiße Flüssigkeit in die Becher. Dampf schwebt den Beiden ins Gesicht. Mit Plätzchen in der Hand bringt sie ihre Idee ins Gespräch. „Weißt du was, wir machen ein Spiel!“ „ Oh ja,…was für eines?“

„Ein Gedankenspiel“

„Welche Gedanken?“ „Was eine zweite Meile sein könnte“ Sofort sprudeln die Gedanken des Kleinen aus seinem Mund. „Eine zweite Meile verlängert doch alles, die Zeit wo ich helfe. Wenn du mir ein Plätzchen reichst und noch einige mit Tee, ist das dann die zweite Meile?“ „ Ja,“ …mit dem nickenden Kopf wird die Aussage bekräftigt. „Wenn mein Freund hinfällt und ich ihm aufhelfe. Ihn stützend noch nach Hause begleite, ist ebenfalls die zweite Meile ja?“ „Genau!“ „Wenn du frierst, und ich dir eine warme Decke bringe, dazu eine Wärmflasche, ist das auch die zweite Meile?.“ „Ebenfalls“ „Wenn mein bester Freund von anderen geärgert wird, ich stets fest zu ihm halte noch weiterhin mit ihm spiele, kann dieses eine zweite Meile sein?“ „Lässt sich so benennen“ „Wenn einer älteren Dame die schwere Tasche umfällt und ich helfe ihr aufzuheben noch ihre Tasche bis zum Bus tragen, ist sicher auch die zweite Meile.“ „Doch, doch.“ „Wenn ich daheim den Auftrag bekomme die Schaufel und den Besen zu holen , ich freiwillig gleich noch aufkehre ist die zweite Meile.“ „Na klar.“

„Erwachsene müssen sich andere Sachen ausdenken. Sie wissen und können mehr als ich. Ich sah eine Nachbarin bei dem anderen Nachbarn Bretter und Möbel auf den Anhänger aufladen. Sie ließ sich von den Älteren nicht helfen, da sie sich schwer taten und sie fuhr es noch alleine zum Wertstoffhof. Das war eine riesig, riesige zweite Meile“ „Da hast du recht!“ „Wenn ich dem Opa Essen bringe und ihm etwas Gesellschaft leiste, ist genauso eine zweite Meile, was meinst du?“ „Sicher ist das eine. Eine zweite Meile fühlt sich wie eine wohlwollende Umarmung an. Eine Meile wird das Eis, das Harte im Herzen auftauen können und die Freundschaft erfahren lassen. Eigentlich muss das Schöne immer doppelt geschehen.“ „Dann hat der andere es leichter und freut sich.“ „Das hast du aber schön formuliert“ „Die zweite Meile ist manchmal sehr schwer.“ „Bestimmt!“ „Das schafft man nicht immer!“ „Stell dir eine Waage vor, das Schwere drückt runter und hebt das Leichte nach oben“ „ Also dann ist meine Tat schwer und die Freude des anderen hebt sich nach oben.“ „Siehst du so ist das!“

Der Kleine rennt etwas abseits in den Schnee. Seine Stimme hallt. „Ich lege fünf Plätzchen in die Futterkrippe, dass sie durch das Dach nicht zugeschneit werden.“ „Ich kann dir noch Kastanien geben. Habe welche dabei.“ „Das ist dann ein Weihnachtsgeschenk für die Rehe, Hasen und die Weihnachtsmaus.“ „Hier sind Sonnenblumenkerne die sind für die Vögel.“ „Eigentlich ist das die dritte Meile.“ Der Junge legt sich in den frischen Schnee und schiebt mit seinen Füßen und Armen hin und her. „Schau ich habe einen Engel in den Schnee gezeichnet. Du morgen ist Weihnachten, da bekomme ich Geschenke. Weihnachten schenkt uns auch eine zweite Meile das Jesuskind in der Krippe und die Rettung.“ Eine Pause entsteht. seine traurigen Augen und seine belegte Stimme erklären, „leider kann ich dir nichts schenken, es ist kein Cent mehr in meinem Sparschwein.“ Plötzlich leuchten seine Augen auf. Ein hoffnungsvolles Lächeln umspielen den Mund. „Doch, ich kann dir eine zweite Meile schenken. Die zweite Meile ist eh ein Geschenk. Das könnten alle Menschen geben. Wenn wir nach Hause kommen, male ich die zweite Meile“ „Wie malst du diese?“ „Die zweite Meile? Ganz einfach, da muss man nicht nachdenken. Geht leicht! Ich male zwei mal zwei Augen, die braucht man, um zu sehen. Eine zweite Meile ist eh doppelte Arbeit. Zwei mal zwei Füße, da sie nochmal laufen. Und zweimal einen Mund, der liebe Worte spricht. Und zweimal zwei Hände zum helfen, spielen und tragen. Darunter male ich ganz große Augen für den, der die zweite Meile erlebt hat. Die Augen natürlich mit gelber Farbe, da sie doch vor Freude leuchten und für das Staunen male ich einen groooßen Mund, darin Lachen und Freude zu sehen ist. Für das Lachen und die Freude male ich viele, viele bunte Punkte und ringsherum kleine Herzen in den rießigen Mund, die das Danke zeigen und ein großes Herz darunter für den, der die zweite Meile tut“ „Wunderbare Ideen hast du… toll!“ „Setz dich auf den Schlitten mein kluges Kind.“ „Du machst ja auch die zweite Meile, du lässt mich auf das Fell setzen und ziehst mich jetzt nach Hause.“ Die kleine herunterhängende Kinderhand im Handschuh neben den Kufen schaufelt im Fahrtwind Schnee auf. Der Junge formt kleine Schneebälle. und wirft sie umeinander. Ich versuche dich nicht zu treffen beschwichtigt er die Schlittenziehende. Fröhlich hört man die Kinderstimme weiter: „Das ist meine zweite Meile. Sie ist eine Liebestat und wenn ich jemand liebe auf den passe ich besonders auf, darum schütze ich dich. Wenn ich schreie musst du ganz schnell deinen Kopf einziehen, damit ich dich ja nicht treffe.“ „Ok!“ „Es kommt ein Ball.“ „Eine zweite Meile sollte sein, was man sich selbst wünschen würde, das uns einer tut oder lieber nicht tut.“ Die Antwort des Schneeballwerfers klingt an ihr Ohr „Die leichteste Meile ist, jemanden anzulächeln und die zweite Meile mit den Augen zu zwinkern.“ Beide zwinkern sich lachend zu. Der Schlitten in seiner Fahrt prägt weiterhin Doppellinien in den zauberhaften Schnee.

Christa Milke wünscht damit allen ein frohes Weihnachtsfest

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