Gunzenhausen – Ein nachdenklicher Blick, die Stimme stockt, in den Augenwinkeln sammelt sich Feuchtigkeit – selbst wenn es ihr manchmal augenscheinlich schwerfällt, Patricia Litten hat viel zu erzählen. Über ihre Familie und von einer grausamen Zeit, in der Mutterliebe und Hoffnung an einem Terrorregime zerbricht. Das Dritte Reich war eine schreckliche Zeit, ein Ort, an dem Menschlichkeit keinen Platz hatte und ihr Onkel Hans Litten nach Jahren körperlicher und seelischer Misshandlung den Tod fand. Patricia Littens Großmutter Irmgard schrieb die Leidensgeschichte ihres Sohns in eindrücklichen Worten nieder – 1940 erschien diese Geschichte voller Wut, Verzweiflung aber auch Hoffnung in London unter dem Titel „A mother fights Hitler“. Auf Einladung liest Patricia Litten aus diesem Buch, das als „Eine Mutter kämpft gegen Hitler“ auch im deutschsprachigen Raum erschien. Gegen das Vergessen und um vor den Schrecken des Terrors zu warnen. Nun war die Schauspielerin in Gunzenhausen zu Gast, ihre emotionale Lesung berührte das Publikum zu Tränen. Die Veranstaltung war die offizielle Eröffnungsveranstaltung des diesjährigen Gunzenhäuser Erzählfests, welches gemeinsam von der Kulturmacherei und der Stadt veranstaltet wird.
Wenn die Welt aus den Fugen gerät, braucht es starke Menschen, die sich klar positionieren und für Humanität einsetzen. Die aus Film und Fernsehen (u.a. Tatort) bekannte Patricia Litten ist sichtlich ergriffen, als sie die Leidensgeschichte ihres Onkels erzählt. Als junger Strafverteidiger nahm er 1931 Adolf Hitler juristisch in die Mangel und unterzeichnete damit unbewusst sein Todesurteil. In der Nacht des Reichstagsbrands wurde er verhaftet und auf Geheiß des späteren Diktators auf eine jahrelange Reise des Schreckens geschickt. Als er Anfang Februar 1938 in Dachau Selbstmord beging, war sein Körper längst von Folter und Misshandlung gezeichnet.
Irmgard Litten hatte nie aufgehört für ihren Sohn zu kämpfen, sie besuchte ihn im Gefängnis und in mehreren Konzentrationslagern, sie schrieb Briefe und klapperte die Prominenz ab, um für seine Freilassung zu bitten. Ohne Erfolg, Hitler hatte sich persönlich bis zuletzt gegen Litten positioniert. Nach und nach zerbrach die Seele Hansens, nicht nur an den Demütigungen und Schlägen, sondern auch am Aufstieg des braunen Regimes.
Irmgard Litten verließ noch 1938 das Deutsche Reich und fand über die Schweiz und Frankreich schließlich in England eine neue Heimat. Die Leidensgeschichte um ihren Sohn Hans schrieb sie sich in der Emigration von der Seele, später wurde sie Mitarbeiterin des Ministry of Information und die deutsche Stimme der BBC. Ihre Enkelin Patricia spricht von einer stolzen und gerechten Frau, die jedoch nach und nach den Glauben an die Menschlichkeit verlor. Bis zuletzt setzt sie sich für Gleichheit und Recht ein, Recht, das zu jeder Zeit den Schwachen gehört – die Starken brauchen es nicht, um sich zu behaupten.
Gebannt waren die Zuhörerinnen und Zuhörer von Patricia Littens Ausführungen. In den Sprechpausen legte sich Stille wie ein Zelt voller knisternder Emotionen über den Markgrafensaal. An den Lippen hängend, war die Hoffnung auf ein Happy End vergebens. Die Frage nach dem Warum blieb freilich unbeantwortet, die Schauspielerin kämpfte wiederholt mit den Tränen, so als würde sie die Geschichte des Onkels das erste Mal hören. Dazu zerreißen immer wieder die emotionalen Cello-Klänge Birgit Sämanns die aufgeladene Atmosphäre, das Schicksal kann unfair und unerbittlich sein.
Patricia Litten möchte aufklären und warnt vor den Anfängen. Aktuellen Entwicklungen in Deutschland und der Welt blickt sie mit Sorge entgegen. Als Sprachrohr setzt sie auf Vernunft und Menschlichkeit, dieses dunkle Kapitel der deutschen Geschichte soll und darf sich nicht wiederholen.
Quelle: Stadt Gunzenhausen – Manuel Grosser