„Menschen, Tiere, Sensationen“

Gunzenhausen – Kuriositäten lockten im 19. und 20. Jahrhundert die Massen – Werner Mühlhäußers Konzept zur Vergnügungsgeschichte der Stadt

Stadtarchivar Werner Mühlhäußer erläutert Carolin Bayer sein Ausstellungskonzept. (Bildrechte: Stadt Gunzenhausen – Babett Guthmann)

Kein Radio, kein Fernsehen, kein Internet – auch in früheren Zeiten waren die Menschen dennoch begierig nach Sensationen, Kuriositäten und Nervenkitzel. Zur Kirchweih und zu den großen Jahrmärkten begeisterten  Schaubuden und Artisten in der Stadt ein großes Publikum von bis zu 2000 Menschen. Stadtarchivar Werner Mühlhäußer hat anhand von 90 Zeitungsinseraten und dem Schriftwechsel der Schausteller mit dem Stadtmagistrat eine faszinierende Dokumentation der Vergnügungsgeschichte Gunzenhausens, vornehmlich des 19. und 20. Jahrhunderts zusammengestellt. Zu sehen ist die daraus entstandene Ausstellung „Menschen, Tiere, Sensationen“ bis zum 10. Juli in der Stadt- und Schulbücherei.

Besonders der Schießwasen und der Marktplatz waren schon vor Jahrhunderten geeignete Plätze, um den Gunzenhäusern das Staunen beizubringen. Einen Massenauflauf hat es wohl beim Auftritt des Seiltänzers Heinrich Stark gegeben: Dieser ließ in 21 Metern Höhe ein Stahlseil vom damaligen Schulhaus (heute Sparkassengebäude) quer über den Marktplatz spannen und zeigte seine Artistenkunst. Angekündigt als Höhepunkt: Stark werde seine 89-jährige Großmutter über das Seil tragen!

Eine weitere Artisten-Dynastie, die Zirkusfamilie Knie, war ebenfalls im 19. Jahrhundert in Gunzenhausen zu Gast. Friedrich Knie, der Gründer, sollte nach dem Willen seines Vaters Rechtsanwalt werden, doch nach einem Zirkusbesuch entschloss er sich, selbst als Hochseilartist aufzutreten und gründete so einen bis heute bekannten Zirkus.

Mit der exotischen Tierwelt kamen die Gunzenhäuser in Kontakt, wenn beispielsweise die Menagerie Berg mit der „größten wandernden Raubtier-Ausstellung“ ein Gastspiel gab. Gang und gäbe war es, menschliche und tierische Kuriositäten zur Schau zu stellen. Solche mitunter sehr fragwürdigen  Inszenierungen sind heute nicht mehr denkbar: So präsentierten sich die „drei Kolossalgeschwister aus Ostpreußen“  oder die kleinsten Menschen der Welt mit Musik und Gesang. Aus der Tierwelt gaben das Riesen-Krokodil, der kleinste Esel der Welt oder auch das „russisch-sibirische Wolfstheater“ sich die Ehre.

Doch nicht nur Kurioses, auch der wissenschaftliche und technische Fortschritt zog die Zuschauer in Scharen an. Werner Mühlhäußer hat im Stadtarchiv Schriftwechsel gefunden, in denen ein anatomisches Museum mit Wachsmodellen von Organen, Körperteilen und deren krankhaften Veränderungen sich ankündigten. 48 Programmpunkte hatte die 1878 präsentierte mechanische Kohlengrube, die den Abbau der Kohle, samt Explosionen und Zusammensturz des Erdreichs zeigte. Auch ein Tauchbecken wurde einst aufgebaut, in dem ein Seetaucher aus Kiel einen Tauchgang demonstrierte.

Von der Jahrhundertwende bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts schlug die große Stunde der Varietés. Ein Bewerbungsschreiben des „Grand noble Bavaria Varieté“ ist in einer der Ausstellungsvitrinen zu sehen. In dem Schreiben empfiehlt sich das „größte eleganteste Wander-Etablissement Europas“ für einen Auftritt in der Altmühlstadt. Gerade diese Varietés nutzten auch die beiden großen Festsäle Gunzenhausens im „Fränkischen Hof“ in der Bahnhofsstraße oder im Gasthaus „Adlerbräu“, wo bis zu 2.000 Personen Platz fanden.

Weit zurück geht die Geschichte der Vergnügungsunternehmen, die in Gunzenhausen ihre Spuren hinterließen. Den ältesten Eintrag auf Werner Mühlhäußers Liste bildet ein Gaukler, der im Jahr 1603 vom städtischen Rat bezahlt wurde, damit er einen Drachen steigen lasse. Kritisch beurteilt wurde im Jahr 1660 der Auftritt eines Komödianten, der dennoch 24 Kreuzer als Salär erhielt, obwohl „dasjenige, was gefallen, gar schlecht gewesen war“.

Der auf zwölf Trommeln spielende Tambourmajor, das „Lachkabinett für Kinder bis zu 80 Jahren“, fahrende Kunstmuseen mit großen Panorama-Bildern und Guckkästen oder die Planeten-Tunnel-Bahn würden vielleicht heute noch Anklang finden, doch die  große Zeit der Gaukler, Varietés und Schaubuden endete mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. In der Nachkriegszeit gab es nur noch wenige Auftritte, denn übers Radio, im Kino oder kurz später im Fernsehen konnten auch die Gunzenhäuser ihre Lust auf Sensationen auf andere Weise stillen.

Menschen, Tiere, Sensationen – ein Blick in die Gunzenhäuser Vergnügungsgeschichte“ vom 18. Mai bis zum 10. Juli. Zu sehen zu den Öffnungszeiten der Stadt- und Schulbücherei Gunzenhausen.

Quelle: Stadt Gunzenhausen – Pressestelle

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